I Love Karl

Jetzt ist es passiert: Karl Lagerfeld ist gestorben.

Es gibt ein paar öffentliche Personen, von denen will man einfach nicht, dass sie uns verlassen. Wir brauchen sie. Dazu gehörte für mich Karl Lagerfeld, genannt der Große. Deshalb fand ich es immer gut, dass er sein Alter nicht preisgab. Wen ging das was an, außer ihn selbst? Sein Leben, seine Kreativität, sein innovativer Style, seine modischen Überraschungen, auch sein Witz und kultivierter Esprit – die gingen uns an. Mich ging vor allem sein kreativer Umgang mit Worten an.

„Ich bin spielerisch, aber ich spiele nicht“, sagte KL vor vielen Jahren, und umriss damit seinen Umgang mit den Mitteln, die er nutzte, aber auch seinen Umgang mit der Zeit. Er vergeudete sie nicht. Er war ein Arbeiter, er trennte Arbeit und Leben nie: „Die Ideen kommen beim Arbeiten. Wenn ich nicht arbeite, habe ich keine Ideen!“

Die Vergangenheit interessierte ihn nicht, auch nicht seine eigene. Er blickte nur nach vorne.

„Man ist für nichts zu alt, wenn man neugierig bleibt“, war sein Motto, an das ich mich halte, seit ich es erstmals vernommen habe – schätzungsweise vor zwanzig Jahren, weil es mir so sehr einleuchtete und auch entsprach.

KL war der Rockstar der Mode. Er war unabhängig. Bis zum Schluss war er jung, neugierig, offen. Jünger, neugieriger, offener, als manche Zwanzigjährigen es sind. Jeder Auftritt garantierte ein Erlebnis. Er schickte Engergie, er weckte die Sinne. („Stress? Ich kenne nur Strass“!) Ich vermisse ihn jetzt schon.

Danke, Karl! Danke für Deine Inspiration.

Lass uns über den Tod reden – in Villigst

Die Tagung Ars moriendi – ars vivendi: Die Zukunft der Hospizarbeit am Wochenende in der Ev. Akademie Villigst brachte nicht nur inhaltlichen Input, sondern vor allem spannende Begegnungen.

Am Freitag Nachmittag machte Henning Scherf den Auftakt (Fortgeschrittenen-WG). Abends sprachen der ehem. EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider und seine Frau Anne Schneider über den frühen Krebstod ihrer Tochter (im Wechsel Tagebucheinträge und theologische Reflexionen: eigene oder Bonhoeffer-Zitate, von dessen Mannhaftigkeit in Sachen Leiden sich die Schneiders vorsichtig distanzierten, was ich sehr sympatisch fand). Am Samstag zwei wirklich tolle Veranstaltungen von Udo Baer, dem Begründer der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, mit dessen Ansatz ich mich noch weiter beschäftigen werde. Thema: Die Bedeutung von Kriegstraumata am Lebensende. Seine Ausführungen und Beispiele lösten bei uns Teilnehmer*innen viele Aha-Erlebnisse aus, weil die Traumatisierung der Generation unserer Eltern spürbar nachwirkt und auch bei uns als Folgegeneration – unbeabsichtigt und ungefragt – noch fortwirken kann.

Abends war ich an der Reihe. Nachdem ich realisiert hatte, dass die Tagungsteilnehmer*innen zum überwiegenden Teil Profis aus dem Bereich Sterbebegleitung / Hospizarbeit waren, der Tod also zu ihrem Alltag gehört, änderte ich das erste Drittel meines Vortrags Mit dem Reden fängt es an. Dass er gut aufgenommen wurde, erleichterte mich sehr. Damit hat das neue Buch das Licht der Öffentlichkeit erblickt, bevor es auf dem Markt ist. Für Lesungen in Buchhandlungen sollte die Choreographie allerdings noch etwas variiert werden.

PM war auch gekommen, schon am Freitag Abend wg meines Geburtstages, und akklimatisierte sich schnell an das theologische Umfeld, das ihm als Mediziner eher fremd ist. Abends in der Cafeteria lebhafte Diskussion mit den Schneiders. Sie kommt aus der feministischen Theologie, ist impulsiv und emotional, er ein souveräner Redner und Vollbluttheologe. Beide megasympatisch und offen.

Tags zuvor war der achtzigjährige Scherf zu Fuß vom Bahnhof Schwerte zur Tagungsstätte gekommen, was mich motivierte, am Samstag Mittag schnell mal nach Schwerte reinzulaufen: Kleines Ruhrpottstädtchen, ähnlich wie Kamen, ich fühle mich da sofort zuhause.

Heute vor der Heimfahrt noch einen Abstecher gemacht: Mutterbesuch. Ich habe meine Mutter interviewt, wie sie den Tag der Kapitulation erlebt hat, und ob/wie sie im Krieg ihre Geburtstage gefeiert hat. Womit ich einen Tipp von Udo Baer direkt umgesetzt habe: Nicht nach dem Krieg fragen, sondern Detailfragen! Es funktionierte. Wir kamen ins Gespräch, und ich erfuhr Dinge, die ich noch nie zuvor gehört hatte. (Wie unendlich schade, dass ich mit meinem Vater nicht annähernd so weit gekommen bin.) Deswegen war ich auch glatt bereit, ihren letzten Satz – in Richtung des gerade eintretenden Pflegers – zu überhören: “Das ist meine Tochter. Sie versucht seit Jaaahren, schlank zu bleiben.” Ah ja!

Abends mit dem Zug zurück nach T., zurück in den Alltag, in die Vorbereitung fürs “Amt”, in die Gewohnheit nach einem ungewöhnlichen Wochenende.

Freie Fahrt …

Montag. Der christsoziale Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer ist wirklich bescheuert genug zu behaupten, die Überlegungen zur Einführung des Tempolimits seien ein Beispiel für “alte, abgelehnte und unrealistische Forderungen” und ein Vorstoß “gegen jeden Menschenverstand”.

Sein Schweizer Amtskollege Moritz Leuenberger kann darüber nur fassungslos den Kopf schütteln. Leuenberger fühlt sich in seiner Funktion als Herr über die Straßen dem 5. Gebot verpflichtet: Du sollst nicht töten. Und so entwickelte er das Konzept “Via sicura”, mit dem es ihm während der letzten zehn Jahre gelang, die Zahl der Unfalltoten in der Schweiz von jährlich 600 auf 100 im ersten Halbjahr 2018 zu reduzieren: Durch Tempolimit, Senkung der Promillegrenze, verstärkte Planken entlang der Autobahnen, Kreisel statt Kreuzungen und mehr Fortbildungen für Fahranfänger und Senioren über 75.

Während die Raserei in Deutschland noch immer als Kavaliersdelikt gilt, ist sie in der Schweiz eine gesellschaftlich geächtete Straftat geworden – Bleifuß ade!

Wie hat der Leuenberger das geschafft?

Vor allem wollte er mit seinem Konzept keiner Lobby hörig sein. Um Maßnahmen zu entwickeln, hat er sich einfach mal von seinem Menschenverstand leiten lassen, auf den er sich, im Gegensatz zu Scheuer, offenbar verlassen kann. Die Straßen der Schweiz zählen inzwischen zu den sichersten der Welt. Wow!

Scheuer, du gegelter Cheflobbyist der Autoindustrie, du Weichei in Sachen Fakten auf den Tisch!, ich möchte auch weniger Verkehrstote, ich möchte auch sicherere Straßen und weniger Stress auf der Autobahn. Und vor allem möchte ich Minister haben, die den Geldscheinwedlern die rote Kelle zeigen, anstatt sie durchzuwinken.

Wirklich: Eine verdammt alte, abgelehnte und unrealistische Forderung …

Tomi Ungerer

Sonntag, B.N. Der, der die Kinder ernst nahm und die Erwachsenen auch, was diese aber manchmal schwer missverstanden, der lachende Philosoph Tomi Ungerer ist gestorben.
Lebewohl und Danke, Tomi, für Deine wunderschönen, aufregenden, irritierenden, in jedem Fall bereichernden und unvergessenen Werke. Gute Menschen haben Lieder, gute Menschen haben Bilder und Bücher. Beides hast Du uns (wieder)gegeben. Die Welt ist ärmer ohne Dich.

Echo

Samstag, B.N. Seit ich Arsène Vernys Geschichte gehört habe, kann ich durchfahrende Züge nicht mehr ertragen. Früher, bis vor zwei Jahren, habe ich Tempo und Wind genossen, wenn ich am Gleis stand und – Achtung, durchfahrender Zug! – einer rauschte vorbei und verschluckte alle anderen Geräusche unter seinem metallischen Megarauschen. Rausch der Technik, Rausch des Machbaren, der Macht, unter dem mache ich’s jetzt nicht, um dieses Gefühl wiederzugeben, das ein durchbretternder ICE oder Containerzug mit never ending tausend Anhängern in einem auslösen kann. Wenn die Haare hochfliegen und Kinder die Augen aufreißen und vor Lust schreien und man sich diesem Krach, dieser Gewaltmelange aus Eisen und Schnelligkeit hingibt für Sekunden –

heute drehe ich mich um. Heute habe ich Vernys Bilder im Kopf. Sein Sohn starb beim S-Bahn-Surfen, für die Lust eines Augenblicks. Ich spüre das Tempo und den Wind im Rücken und lausche auf das Echo des Rausches, und während ich vergeblich lausche, spüre ich die Traurigkeit eines Anderen und dass Geschichten einen verändern.

*

Arsène Verny: Wenn ich die Wohnung verlasse, winke ich ihm zu, in: Lass uns über den Tod reden

Historische Schuld abtragen statt Russland-Bashing

Gerhard Schröder im Interview mit dem SPIEGEL

„Ich habe nie gesagt, dass in Russland alles in Ordnung ist, ganz im Gegenteil. Russland hat zum Beispiel gegen Korruption zu kämpfen und hat Mängel in der Rechtstaatlichkeit. Wer glaubt, dass die russische Führung selber der Meinung ist, es kann alles so weitergehen wie bisher, der irrt. Aber ich wehre mich dagegen, dass jedes Versäumnis dort zu einem generellen Russland-Bashing missbraucht wird. Ich gehöre zudem zu denjenigen, die glauben, dass wir Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg noch immer eine historische Schuld gegenüber Russland abzutragen haben.“

Quelle: DER SPIEGEL 6 /2.Februar 2019

Kriegstote des 2. WK in der Sowjetunion: 13 Millionen Soldaten, 14 Millionen Zivilisten, gesamt: 27 Millionen SU-Tote (Quelle: Rolf-Dieter Müller (Hrsg.): Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg Band 10: Der Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945. Halbband 2: Die Folgen des Zweiten Weltkrieges. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008)

Vorwärts

Samstag. PM kommt nie ohne Blumen.

Normalerweise kaufe ich Freitag nachmittags für uns ein, doch gestern vergeht der Nachmittag an der Telekom-Computerhilfe-Hotline. Internet abgestürzt. Warum? Nach Anweisung lege ich einen sehr komplizierten Gang durch das Gehirn meines Laptops zurück. Ca. eine Dreiviertelstunde später funktioniert es wieder, von da an übernimmt der Hotlineberater das Ruder bzw. meine Maus. Blitzschnell klickt er sich durch das Laptop-Innenleben, anschließend zeigt er mir auf meinem Bildschirm alles mögliche: verschiedene Buchsen, die Enden eines WLANKabels – dringend anschaffen! – er hat einen netten thüringischen Akzent und ändert zum Abschluss netterweise meinen Telekomvertrag. Statt Magenta irgendwas, was ich nie brauche und wovon ich nicht weiß, warum ich es habe, jetzt: abgespeckte Version plus Computerhilfevertrag. Sehr vernünftig. Das also ist mein Freitagnachmittag – ein halber Lebenstag! Am Abend kommt PM mit Blumen und guter Laune. Die Hähnchenpfanne im Meze schmeckt ausgezeichnet und ist das Erste, was ich an dem Tag esse. Keine Zeit zum Essen. Die abartig vollen Wochen gehen spürbar an die Substanz. Die nächste Woche wird auch nicht besser: Zu den saisonbedingt zusätzlichen Job-Terminen kommt die Fahnenkorrektur von Lass uns über den Tod reden.

Gestern sind die Druckfahnen mit der Post eingetroffen. Schon Tage zuvor war mir übel vor Angst, dass irgendwas nicht klappt – Korrekturen falsch abgespeichert, die Schrift zu klein … eine dieser die negativen Phantasien aufsaugenden und zugleich nährenden Panikattacken kurz vor Schluss. Und jetzt: Alles, alles gut. Sehr gute Lesbarkeit. Große Erleichterung! Sodass ich dieser letzten Korrektur einigermaßen gelassen entgegensehen kann. Es geht vorwärts. Vorwärts, und nicht vergessen: Am 13. März ist es da – mein schönes, bisher wichtigstes Buch (was ich jedesmal denke).

Am 16. Februar halte ich einen Vortrag in der Akademie Villigst: Mit dem Sprechen fängt es an (Thema der WE-Veranstaltung: Ars moriendi, Ars vivendi.) – sozusagen meine Generalprobe für die Buchpremiere bei Osiander. Inzwischen gibt es schon einige Lesetermine bis Ende Oktober. Einer ist in Kiel, damit ich Jerome und Beret endlich mal wiedersehe, und einer in ? – Überraschung fürundmit PM.

Lass uns über den Tod reden – Horst Walther

“Ich lebe im Heute, Hier und Jetzt. Deshalb bin ich auch bestrebt, alles sofort zu erledigen. Die Formulierung: „Das mache ich später mal, wenn ich Rentner bin“, die gibt es bei mir nicht. Wenn du täglich siehst, wie viel Ungelebtes, Ungesagtes nach dem Tod zurückbleibt, dann kapierst du irgendwann, dass du nichts aufschieben darfst. Es könnte immer der letzte Tag sein.”

… sagt der Erfurter Bestatter Horst Walther über seinen Beruf als Bestatter und über den Tod seiner Frau Marion, in: Lass uns über den Tod reden  (ab 13. März 2019 im Ch. Links Verlag, Berlin)

Buchpremiere am 28. März 2019 in der Buchhandlung Osiander Tübingen

Holocaust-Gedenktag ohne Echo

Auschwitz wurde von der Roten Armee befreit. Bringen deshalb die Öffentlich-Rechtlichen NICHTS zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust (27. Januar)? Bildungsauftrag ARD / ZDF – Pustekuchen … Einzig und ausgerechnet auf RTL2 kam “Hitler – Aufstieg des Bösen” in ganzer Länge und ohne Werbeunterbrechung. Kann man jetzt so und so deuten …