Lieblingsbücher

Donnerstag. Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin ist nicht nur ein abgefahrener Titel, sondern auch der ziemlich durchgeknallte neue Roman von Thomas Meyer. Im Wechsel mit Banana Yoshimotos Roman Federkleid gibt das eine gute Mischung von Verrücktheit und Melancholie.
Von Yoshimoto habe ich jetzt alles, was es auf dem deutschsprachigen Markt gibt. Ich liebe ihre Bücher. Sie sind sich alle ziemlich ähnlich. Yoshimoto lässt Bilder entstehen, die in meinem Kopf weiterwachsen. Manchmal denke ich, dass ich sie als Film gesehen habe. Ich sehe die japanische Stadt am Fluss, ich sehe das Zimmer im Schuppen hinter dem Café, als sei ich selbst dort gewesen. Ihre Heldinnen sind ein bisschen einsam, ein bisschen verschroben, ein bisschen grenzgängerisch. Sie schlafen zu wenig und streifen nachts herum. Der Tod spielt oft eine Rolle, er ist ins Leben eingewoben. Die Nächte glitzern und funkeln in ihrer unendlichen Tiefe. Liebende gehen zusammen in den Supermarkt, kochen Nudelsuppe oder Curryreis und bringen sich zum Weinen. Manchmal begegnen sie sich auch im Traum. Zuletzt weiß die Heldin, dass sie aus eigener Kraft vorwärts gehen muss, um ihre Zuversicht wiederzufinden.

Schreibwerkstatt

Dienstag. Zwei wunderbare Neuzugänge in meiner Schreibwerkstatt. Ich liebe diese inspirierte und inspirierende Truppe. Im März sind wir wieder zu einer öffentlichen Lesung in der Stuttgarter Stadtbibliothek eingeladen. Darauf freuen sie sich jetzt schon wie die Schneekönige …

Spiegelbilder

Montag. Diese von sich selbst Enttäuschten, die einen gleich im 1. Satz darüber aufklären, was sie alles studiert & wo sie alles Expertentum erlangt haben, soll heißen, in jedem Fall sind sie qualifizierter als du, weshalb du dir das alles auch sparen könntest, weil nichts von dir in ihren Augen Bestand haben wird – die sind so uninspirierend, dass ich heute schon den ganzen Nachmittag ganz trübselig bin. Obwohl sie mir eigentlich egal sein könnte, diese Madammige, die mich einmal von oben bis unten abcheckt da im Flur vom „Amt“ und sich dann abwendet, um erstmal zu verdauen, um mich erst später totzutexten mit ihren sorgfältig betonierten, unter ihrer Frisur abgespeicherten Textbausteinen.
In der kurzen Zeitspanne, bevor sie sich mir wieder zuwendet, einfach weil die Höflichkeit das verlangt, hat sie eines ihrer Schublädchen aufgezogen, mich da reingesteckt und wieder zugepfeffert. Sie gibt sich unverhohlen geladen. Die High Heels, die Haarfarbe, da weiß sie Bescheid, das kennt sie, da braucht man ihr nichts zu erzählen.
Wieso ich sie nicht verstehe, das macht sie fassungslos. Fassungslos auch ich, was die nach eigenem Bekunden ausgewiesene Gottes- und Seelenexpertin da vom Stapel lässt. Es geht um (m)eine pädagogische Entscheidung. Wir sind ganz und gar nicht einer Meinung. Eine Unverschämtheit!, findet sie und grapscht nach ihrer rotbraunen Handtasche, um zu gehen, und weil auch das so einstudiert rüberkommt wie ein hintersinniger Anke Engelke-Sketch, muss ich lachen.
Ihr Killerinstinkt scheint mir etwas abgenutzt. Kein Wunder, die Sache, die ihr so zusetzt, ist vier Monate her. Ich stelle mir vor, sie auf einen Kaffee oder Schnaps einzuladen, doch ist sie so ein zum Verzweifeln bodenständiger Typus. Sie wolle mich gar nicht angreifen, sagt sie (vergessener Baustein). Allmählich empfinde ich unsere Lage als bedrückend, als extrem unsexy – ohne jeden Charme, ohne ein Lächeln oder Augenzwinkern. Eine Kommunikation ist nicht möglich, das deprimiert mich weitaus mehr als ihre Kritik. Wir sind beide froh, als es ans Verabschieden geht. Keine Glanzleistung, fette Unprofessionalität auf beiden Seiten.
Ich glaube, wir sind beide enttäuscht.

Bewegung

Sonntag, B.N. Die Lesung in Bonn in der Buchhandlung Hafis & Goethe war ein Erfolg. Schöne Nachbesprechung im Bonner General-Anzeiger, leider nicht online.
PM war dabei, anschließend im Metzlers etwas gegessen und die Ruhe genossen.
Pläne geschmiedet, die allmählich an Konkretheit gewinnen. Staune immer wieder über mein Leben …

Dunkeltag

Freitag. Heute wurde J.S. auf dem Bergfriedhof beigesetzt. Ungefähr 300 – 400 Trauergäste haben ihn verabschiedet. Sehr bedrückend, so eine Sache weckt unheimliche Ängste. Vor zwei Jahren hat er Abi gemacht und angefangen Theologie zu studieren. Kann mich gut an die Diskussionen mit ihm erinnern, er war immer einen Tick provokant, hat sich viele Gedanken über vieles gemacht … Anschließend zu Fuß zurückgelaufen und in der Stadt mein Fahrrad gesucht (und gefunden), das ich gestern vor dem Rundfunkinterview irgendwo angekettet und dann vergessen habe.
T. und L. angerufen, ob es ihnen gut geht.

Am Abend ist Vernissage im Stadtmuseum, wo Susanne mit mehreren Arbeiten vertreten ist. Volles Haus. Ich treffe Anne, auch Künstlerin, mit der ich später nach Hause laufe und mich für nächste Woche verabrede. Ihr erster Mann, erzählt sie, ist vor ein paar Wochen gestorben. Seine letzte Lebensgefährtin habe sich geweigert, die Beerdigung zu bezahlen, das sollten jetzt mal seine beiden erwachsenen Söhne übernehmen. Beide Söhne hätten aber kein Geld, sodass ihre jeweiligen Mütter eingesprungen seien. Die Kosten für die Beerdigung tragen jetzt also die beiden Exfrauen des Verstorbenen, von denen Anne eine ist. Sie lacht darüber, sagt aber: „Ich rede nicht mehr mit der!“, womit sie die geizige Lebensgefährtin meint. So kann’s gehen. (Vielleicht ist die aber gar nicht geizig, sondern wg. irgendwas verletzt?)
PM kann dieses WE nicht kommen. Sehr blöd.

DLF

Donnerstag. Am Nachmittag direkt vom „Amt“ auf den Österberg hoch zum SWR-Landesstudio. Eine Stunde später – ich bin ausnahmsweise viel zu früh da – werde ich der Redakteurin von Religion und Gesellschaft, Dr. Christiane Florin, in Köln zugeschaltet. Sie hat eine sympatische Stimme und stellt anspruchsvolle Fragen. Sie mag mein Buch, sie erkennt den redaktionellen Aufwand dahinter. Die Sendung mit dem Titel „Warum wir über den Tod reden sollten“ wird am kommenden Montag in der Reihe Tag für Tag im Deutschlandfunk gesendet. Hinterher fühle ich mich sehr gut. Eine Stunde lang mit Jerome telefoniert.

Begegnungen in Altenkirchen

Montag. Am Wochenende hatte ich eine Lesung im Westerwald, genauer: in Altenkirchen bei der Buchhandlung Wäller. Veranstalterin war die Landesjugendakademie. Ich war noch nie zuvor im Westerwald und wusste gar nicht, wie schön es dort ist. Und wie liebenswürdig die Menschen sind. Ich kann das gar nicht alles hier beschreiben. Die Zuhörer*innen waren sehr besondere Männer und Frauen, wie auch die Buchhändlerin, die nebenher Kinderbücher schreibt und einen eigenen Verlag gegründet hat.
Am nächsten Tag, Samstag, lerne ich in einem Modeladen, wo ich aus dem Schaufenster raus einen Plüschmantel kaufe, das Inhaber-Ehepaar kennen. Wir quatschen bis weit in den Spätnachmittag rein. Große, spontane Nähe, vielleicht ein spannender Gesprächspartner für nächstes Buchprojekt: Der Mann hatte ein Nahtoderlebnis, von dem er so anschaulich berichtet, wie ich das nur aus den entsprechenden Reportagen kenne. Keine religiöse Deutung, aber seitdem habe er keine Angst mehr vor dem Tod. Er ist schwerkrank, hat schon viele Operationen hinter sich, dennoch vielseitig interessiert und dem Leben zugewandt. Die beiden haben PM und mich eingeladen. Ich habe Lust darauf. An solchen Tagen spüre ich den Herzschlag des Lebens.

… mal wieder Abschied

Sonntag, B.N. Gleich werde ich in den Zug steigen, meine Tasche zwischen die Beine stellen und durch die Tür nach draußen sehen, in zwei Augen, die mir viel bedeuten, dann einen Platz suchen und vielleicht keinen finden, stehend oder sitzend mit Blick aus dem Fenster das Wochenende durchspielen mit seinen Highlights und seinen Zweifeln, ja die auch, während der Zug durch die Gegend brettert am schönen Rhein entlang durch das schöne Andernach und das schöne Bingen und soviel Schönheit macht ja auch ein bisschen müde und ich weiß nicht, was der Rest des Jahres – die Zukunft! – bringt, und das ist vielleicht das Denkwürdige daran, dass mir das nichts ausmacht.
Nicht länger auf die Nebengleise starren und Hauptsache kein Stillstand. Dem Unechten die Stirn bieten. Dem Echten das Herz.