Dienstag. Käse, Ciabatta, Tomaten und Oliven, Gurke und Kresse, süße Kuchen und natürlich ein Fläschchen Sekt – alles vom Markt, unter Umgehung des Supermarktes (das ist entscheidend). Heute Abend kommt meine Freundin Susanne. Jede von uns hat auf ihrer Strecke einen Teilsieg zu feiern …
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Botschaft aus dem Off
Finde gerade auf meiner Terrasse ein vom Regen durchweichtes DIN A 4 Blatt mit einer XY-Koordinate und einer wellenförmigen Kurve / Punktelinie. Jemand hat das mit Bleistift gezeichnet.
Darunter steht handschriftlich: „Oft kann man die Abhängigkeit auch in Worte fassen.“
Hm. Seltsam. Würde gerne wissen, von wem das ist.
Weltmeister
Montag, nach Mitternacht. Weltmeister!
Zum Glück habe ich es vor dem einen, entscheidenden Tor gerade noch vom Bahnhof nach Hause geschafft. Während der Fahrt stand es 0:0, ein Typ hielt mich auf dem Laufenden, nachdem er mir im Netz einen Anschluss nach Tübingen rausgesucht hatte, weil die ursprünglich geplante Zugverbindung mal wieder geplatzt war.
Der Zug war gespenstisch leer wie auch die Bahnhöfe wie auch die Straßen von Tübingen.
Ich nahm ein Taxi. Es war der gleiche Taxifahrer wie letztes Mal. Er sagte, Mühlstraße und Neckarbrücke seien schon seit einer Stunde gesperrt wegen der WM-Feiern.
Draußen vor den Fenstern explodieren jetzt Böller und Raketen.
Samstag Nachmittag in Köln
Samstag, B.N. PM hätte gerne Munchs Vier Mädchen auf der Brücke oder Manets Spargelbündel oder Liebermanns Rasenbleiche.
Die Rasenbleiche würde ich auch nehmen oder Slevogts Weinlaube in Neukastel oder Manets Fischerboot am Strand von Berck.
Köln ist nicht nur wegen seiner Sammlungen und Museen eine wunderbare Stadt. Es gibt dort ein Schuhgeschäft nach dem anderen und phantastischen Kuchen und Ausgrabungsplätze von mittelalterlichen Stadtvierteln, und PM kennt sich aus. Er läuft mit mir durch die Straßen und sieht so lässig aus mit seiner gewachsten Barbour-Jacke und seinem rasierten Schädel.
Programmatisches
Freitag. Wie weit darf die/der Autor*in sich öffnen, was ihre inneren Vorgänge angeht?
Ich denke, sehr weit. Von einer Autorin oder allgemein Künstlerin erwarte ich, dass sie sich zeigt. Das erwarte ich übrigens auch von jeder Freundin, von jedem Freund. Wer nichts von sich zeigt, wer nicht ab und zu mal wenigstens ein bisschen die Hosen runterlässt, langweilt mich ziemlich schnell. Deshalb erwarte ich vorzugsweise von einer Autorin Mut, und wenn schon keine Kamikazegesinnung, so doch eine prägnante Lust am Ausleuchten eigener und fremder Bewusstseinsgrenzen.
Im Unterschied zu anderen Menschen sollte die Künstlerin sich bis an die Außenränder des Erfahrbaren vorwagen. Sie sollte einen Schritt weiter gehen als das Übliche. Ziel des künstlerischen Schaffens ist es, Grenzerfahrungen sichtbar zu machen und sie künstlerisch umzuwandeln. Dem Extremen wird im Kunstwerk Gestalt verliehen. Das Kunstwerk ist damit die Frucht eines geistigen Risikos, dem sich die Künstlerin aussetzt.
Das Kunstwerk soll nicht unbedingt unterhalten, sondern vielmehr faszinieren und den Rezipienten gefangen nehmen. Da die Künstlerin als unabhängige Erforscherin geistiger Gefahren das Vorrecht genießt, exzentrischer und extremer zu leben und zu denken als der normale Bürger, darf auch ihr Werk das Normale, das gemeinhin Sagbare überschreiten.
Täte es das nicht, wäre es keine Kunst, sondern Kunstgewerbe.
Es geht um eingeschränkte Authentizität. Jeder Text, wie überhaupt jedes Kunstwerk, ist das Ergebnis einer gefilterten, nicht einer unmittelbaren Erfahrung. Uneingeschränkte Authentizität kann wirklich nerven. Tagebücher zum Beispiel. Oder Träume. Ich will es einfach nicht wissen, was andere Leute träumen. Zu viele unbearbeitete Informationen werden darin preisgegeben, die nicht mein Interesse wecken, sondern meine Abwehr.
Ein literarisches Blog ist, wie jedes literarische Kunstprodukt, gefiltertes Erzählen. Mehr als bei einem Buch besteht beim literarischen Blog jedoch die Gefahr der zu hohen Authentizität, denn die Verfasserin weiß nichts über ihre Rezipient*innen. Sie sind nicht sichtbar und daher nicht einschätzbar.
Hat sie überhaupt welche?
Habe ich welche?
Liest jemand mein Blog? Ich weiß es nicht. Das könnte mich hemmungslos machen, was das Preisgeben betrifft, es gibt mir aber auch eine große Freiheit. Auf niemanden muss ich gezielt hinschreiben. Auf niemanden muss ich Rücksicht nehmen. Wie meine Texte aufgenommen werden oder auch nicht, spielt für mich keine Rolle. Vielleicht habe ich keinen einzigen Leser, mit dem ich meine Gedanken teile.
Vielleicht aber doch?
In der Phantasie, dass es da jemanden gibt, der meine Blogeinträge mitliest, liegen der Reiz und die Verantwortung, die Hosen gegebenenfalls doch wieder ein Stück hochzuziehen.
Oder sie ganz runterzulassen.
Sommer
Donnerstag. Die Blumen, die ich im Vorbeifahren oder Vorbeilaufen pflücke und mit nach Hause nehme und über der Spüle nach Farben zusammenstelle und auf Länge schneide und in Vasen verteile, zeigen mir, dass es Sommer ist.
Bevorzugtes Objekt: Männertreu.
Im Supermarkt
Mittwoch. Wie ein Mantel, der über mir zusammenschlägt und schwer an den Schultern hängen bleibt, überfällt mich hinterrücks der Überdruss.
Ich schiebe den Einkaufswagen weiter, mit der Hüfte, die Hände wollen sich kaum heben. Gerüche in jeder Ecke. Essen, Essen, nichts als Essen. Ich will nichts kaufen, aber es ist nun einmal Fakt, dass mein Kühlschrank leer ist. Milch. Das ist das Wichtigste. Wenn die Milch fehlt, werde ich panisch. Ich packe sie in den Wagen, keine Lust zum Vergleichen und Überlegen, ich nehme die erstbeste und mach, dass ich weiterkomme. Ich brauche Kaffee, Kakaopulver, Jogurt, Butter, Zwieback, Blaubeeren, so und so, das reicht jetzt. Eier noch, Eier sind schon vorbei, keine Eier heute, nächstes Mal dann wieder, vielleicht, und während ich auf das Ende der Warteschlange zueile und den Wagen vor mir her schubse oder von mir weg mit weit offener Handtasche darin, dass jeder zugreifen könnte wenn er wollte, doch das tut niemand, ist da dieser Überdruss fast zum Erbrechen wieder oder immer noch, ein schwarzes Loch randvoll mit Überdruss, und an den Rändern Leute, Unmengen von Leuten mit Unmengen von Essen, das sie vor sich herschieben, um es sich später einzuverleiben, aber jetzt wollen sie erstmal bezahlen, diese tausend Teile, die sie auf das Laufband verfrachten, ehe ich endlich meine Sachen dazulegen kann, abgetrennt durch einen schmalen Plastikkeil, mein Essen, dein Essen, behalt dein Essen, bin weiß Gott nicht scharf darauf, lauter billiges Essen aus dem billigen Supermarkt mit seinen billigen Essgerüchen, viel zu viel Essen, zu viel, zu viel.
Auto zu verschenken
Montag. In meinem Alter den Eltern des Liebsten vorgestellt zu werden, ist schon,sagen wir, lustig.
Wenn es sich bei dem neunzigjährigen Vater um einen krachimpulsiven, hellwachen Geisteswissenschaftler handelt, ehemals Schulleiter und leidenschaftlicher Germanist, dann ist das aber nicht nur eine lustige Angelegenheit, sondern auch eine Herausforderung oder sogar Anstrengung.
Wenn die neunundachtzigjährige Mutter zu dem Anlass einen Streuselkuchen backt und Kartoffelsalat mit Würstchen macht und den Tisch deckt und den original Born-Senf dazu stellt und ihren Sohn anguckt und sagt, schade, dass er sich immer alle seine Haare abrasiert, er hatte doch mal so schöne Haare!, dann ist das nicht lustig (oder nur ein ganz kleines bisschen) und nicht herausfordernd und auch nicht anstrengend, sondern ganz furchtbar berührend.
Wenn der Vater vom Mittagschläfchen zurückkommt und statt zu schlafen den Cherryman jagt Mister White von Jakob Arjouni schon zur Hälfte durchgelesen hat, den ich ihm gerade erst mitgebracht habe, und damit herumfuchtelt wie mit einer Waffe und von der Doppelbödigkeit dieses leider schon verstorbenen Erzählers so begeistert ist, dass er das Buch am liebsten tout suite in der Schule durchnehmen möchte, dann ist das inspirierend.
Wenn die Mutter sagt, ich habe mir ein Betreutes Wohnen angeschaut, da hätten wir nur zwei Zimmer, und das geht ja nun überhaupt nicht!, dann ist das immer das gleiche ungelöste Problem.
Wenn der Vater mich ansieht und schweigt und mich wieder ansieht und plötzlich zu mir sagt: Ich schenke Ihnen mein Auto, was sagen Sie jetzt?, dann sage ich erstmal: Danke schön! – weil ich ihm nicht zutraue, dass er das gerade ernst gemeint hat. Wie oft ist Ihnen das schon passiert, dass einer Ihnen ein Auto schenkt?, hakt er nach und freut sich diebisch, denn das ist ihm klar, dass er der Erste Autoschenker in meinem Leben ist. Ich frage: Seit wann ist das Auto denn abgemeldet?, da schreit er: Abgemeldet, wieso abgemeldet, damit fahre ich ja noch rum!, und starrt mich so wütend an, dass ich denke, wie gewonnen, so zerronnen, jetzt gibt er es dir bestimmt nicht mehr, sein Auto.
Er sagt auch noch: Ich vertraue nämlich meinem Sohn. Und das ist dann noch schöner als das geschenkte Auto.
Wenn es August wird, dann wird der alte Schulleiter also die fünf Stockwerke hinunter in seine Garage steigen und ein paar Runden in seinem Auto mit mir drehen, durch die Straßen von Eisenach. So machen wir es jedenfalls aus.
Und danach sehen wir weiter.
Viel zu wenig
Mittwoch. Die letzten zwei Jahre meines Lebens: Alles,
bis auf meinen Arbeitsplatz und meine Wohnung,
hat sich radikal und nachhaltig verändert.
Das war hart. Harte Arbeit.
Die Veränderung ist nicht von mir ausgegangen. Ich habe sie mir nicht gewünscht.
(Oder doch?)
Da, wo ich heute stehe, stehe ich gut.
Ich verrate mich nicht mehr um einer Beziehung Willen,
die ich unbedingt gewollt habe –
warum wollte ich etwas, das von Anfang an auf Selbstverrat gebaut war?
Eine wirklich traurige, traurige Erkenntnis: So viel Zeit! So viel Hoffnung! So viel Energie!
So viel Willen.
Und so viele Lügen. Von Anfang an.
Darüber empfinde ich bis heute Ungläubigkeit.
Zu wenig, viel zu wenig:
Der Blick, der seitlich wegrutscht. Immer.
Immer wieder
der Blick über die Schulter, der
mich nicht trifft.
(Dank an Dr. K.)
Leute, werdet zynisch!
Facebook hat so ein Psycho-Experiment durchgeführt. Schon im Januar 2012. Ist aber jetzt erst veröffentlicht worden, im Juni 2014. Absicht und erzielte Erkenntnis sind so irrelevant, dass es kaum lohnt, das Experiment hier näher darzustellen.
(Hintergründe nachzulesen z.B. bei: http://www.spiegel.de/netzwelt/web/facebook-rechtfertigt-psycho-experiment-auf-neuigkeitenseiten-a-978253.html)
Natürlich geht das Experiment zulasten der User. Denn die wussten nichts davon. Dass sie gerade an einem Experiment teilnehmen. Jetzt sind sie sauer, und geschwind kommt einer der an dem Experiment beteiligten Datenanalysten, Mister Adam Kramer, um die Ecke, um Stellung zu beziehen. Also um die Sache zu rechtfertigen.
Soviel sei gesagt: Für das Experiment wurden Seiten manipuliert. Kramer behauptet, dies sei geschehen, weil FB „sich für die emotionale Wirkung von Facebook interessiere sowie für die Menschen, die das soziale Netzwerk nutzen“.
Das glauben wir natürlich gerne, dass FB will, dass wir User uns wohlfühlen auf FB.
Zusammengefasst geht es – angeblich – darum, dass Leute sich ausgeschlossen fühlen, wenn sie die positiven Nachrichten ihrer Freunde lesen (weil sie dann neidisch oder traurig sind/werden, dass es ihnen selbst gerade nicht so gut geht). Stürzten aber zu viele Negativnachrichten auf sie ein, gehen manche User lieber gar nicht mehr auf FB. Das habe die Analysten natürlich beunruhigt. Weil, siehe oben, sie ja nicht wollen, dass wir bei unserem FB-Besuch schlechte Gefühle kriegen.
Das erklärt jetzt auch mal, warum es so unendlich viele Sonnenuntergangs- und Katzenbilder gibt, so unendlich viele unlustige Witzkarten und so unendlich viele Fotos von Tellern, auf denen du sehen kannst, was einer oder eine sich heute gekocht hat.
Das ist es, was Facebook stehen lässt. Weil uns das gute Laune macht.
Die gute Absicht hinter dem Experiment sei wohl zu wenig nach außen kommuniziert worden, meint Kramer nun, denn sonst, so sein unausgesprochener Gedanke, könne man sich doch unmöglich ernsthaft gegen das Experiment stellen.
Die gute Nachricht für uns: Wir waren wohl nicht betroffen. Es wurden lediglich englischsprachige Nutzer analysiert (und zwar 689.003! Das sind, laut Kramer, jedoch nur 0,04 Prozent der Gesamt-User).
„Wir wollten niemanden aufregen!“, beteuert Kramer. Sondern nur „unseren Service verbessern.“
Lustig, wenn auch wenig überraschend: Der Effekt der Newsfeed-Manipulation sei gering gewesen. Heißt: Die Macher von Facebook haben wohl nicht so viel über uns herausgefunden, wie sie sich das erhofft hatten:
„Eines der Ergebnisse der Studie lautet, dass diejenigen Nutzer, die weniger negative Meldungen zu sehen bekamen, mehr positive Inhalte (+0,06 Prozent) und weniger negative (-0,07 Prozent) veröffentlichten. Wer weniger positive Postings als üblich angezeigt bekam, produzierte mehr Inhalte mit negativer (+0,04 Prozent) und weniger mit positiver Stimmung (-0,01 Prozent).“ (Spiegel-online, 29. Juni 2014)
Aha! Hand hoch, wenn das interessiert! Analyst Kramer meint dazu: „Rückblickend könnte es sein, dass der wissenschaftliche Nutzen des Papers nicht alle Aufregung rechtfertigt.“
Damit könnte man sich ja nun zufrieden geben. Aber richtig spannend wird es erst in den weiterführenden Kommentaren, zum Beispiel dem von Holger Dambeck/Spiegel-online: Facebook gehe es natürlich darum, dass wir möglichst viel Zeit auf der FB-Plattform verbringen, damit der Werbeumsatz stimmt. Deshalb manipuliere FB sowieso dauernd die Nachrichtenfilter, auch ohne Psycho-Experimente. (Siehe hierzu auch Eli Parishers Studie: „The Filter Bubble“)
Facebook ist ein Kommerzunternehmen und kein Wohltätigkeitsverein. Wissen wir ja alle irgendwie. Äußerungen über unsere momentanen Gefühlslage werden offensichtlich von FB verwendet, um Massen zu manipulieren. Um uns zu manipulieren.
Der Preis, den wir alle bezahlen, ist Vertrauensverlust. Wie gesagt, wir wissen das eigentlich schon. Intellektuell jedenfalls. Aber emotional vielleicht noch nicht so ganz. Das emotionale Wissen braucht ja bekanntlich etwas mehr Zeit. Wir möchten nämlich vertrauen! So sind wir gestrickt. Wir sind nicht alle Schweine. Noch nicht! Und dann bekommen wir immer wieder eins auf die Mütze. Jetzt also von Facebook.
Was das o.g. Facebook-Experiment uns um die Ohren haut, ist die Botschaft: Wir nutzen euch gnadenlos aus für unsere eigenen Interessen.
Das ist das Prinzip des Kapitalismus. So werden wir jeden Tag, und mit jeder (neuen) Erkenntnis dieser Art, ein bisschen zynischer. Und finden das auch noch normal. Wer nicht zynisch ist, wer’s nicht blickt, der ist kein netter Mensch, sondern einfach nur ein bisschen naiv.
Na denn: Gute Laune!