„Ich bin immer gegen den Strom geschwommen“ – Hildegard Hamm-Brücher ist tot

Freitag. Sie war die ladylikeste Lady der deutschen Polit-Szene bis heute (sorry, Sahra W.), sah super aus, trug elegante Kleider und Frisuren und war irgendwie, fand ich jedenfalls damals immer, in der FDP falsch. Am 22. September 2002 trat sie, nach 54 Jahren Mitgliedschaft, aus der Partei aus. Sie begründete dies mit der Annäherung der FDP an die antiisraelischen und einseitig pro-palästinensischen Positionen, die durch Jürgen Möllemann im Verlauf des Projekts 18 Eingang in die FDP gefunden hatten (wie sie im Mai 2008 im Interview mit der Süddeutschen Zeitung rückblickend darstellte). Hamm-Brücher, deren jüdische Großmutter sich selbst getötet hat, um den Nazis nicht in die Hände zu fallen, gehörte dem Umfeld der Weißen Rose an. Die Hinrichtung ihrer KommilitonInnen und der Tod der Großmutter haben ihr politisches Denken wesentlich mitbestimmt.

Im Zusammenhang mit dem Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Helmut Schmidt am 1. Oktober 1982 prägte sie den legendär gewordenen Ausspruch vom „verletzten demokratischen Anstand“.

Noch vor fünf Monaten, am 31.07.2016, nahm sie als 95-jährige an der Trauerfeier für die Opfer des Amoklaufs im Olympia-Einkaufszentrum München teil.

Frauen wie Hamm-Brücher, die bis ins hohe Alter wach und politisch aktiv sind, die neugierig bleiben und am Zeitgeschehen Anteil nehmen, zeigen uns, wie weibliche Beharrlichkeit in einer Männerdomäne, wie Emanzipation, und letztlich auch wie Altwerden geht.

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SZ-Magazin 10/2012: Tobias Haberl interviewt Hildegard Hamm-Brücher:

http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/37093/Die-90-jaehrige-Hildegard-Hamm-Bruecher

„… Ich bin immer gegen den Strom geschwommen, wollte aber trotzdem hübsch dabei aussehen. … Für mich ist das keine Auszeichnung, es macht mich weder hochmütig noch eitel. Die Feministin Gloria Steinem hat mal gesagt: Eine emanzipierte Frau hat vor der Ehe Sex und danach einen Beruf. Dann bin ich emanzipiert …“

Beruf und Schreiben

Freitag. Immer mehr überschneiden sich meine beiden Lebensbereiche, Beruf und Schreiben. Davor hatte ich immer Angst – vielleicht etwas irrational, wie die Angst überhaupt oft mein Leben bestimmt hat -, und jetzt finde ich es ganz wunderbar.

Wenn Heizung und Internet ausfallen

Was machen, wenn Heizung und Internet gleichzeitig den Geist aufgeben? Am besten lässt man sie gleichzeitig kommen, den Heizungsmonteur und den Elektroniker. Der eine sitzt, der andere steht oder rennt rauf und runter, beide bekommen eine Tasse Tee, werkeln vor sich hin und erzählen dabei Anekdötchen aus ihrem Leben.
Der Monteur sei eine männliche Zicke, stellt der Elektroniker fest, als Ersterer mal wieder nach unten in den Heizungsraum geht.
Die männliche Zicke mag es nicht, wenn eine Frau, also die Kundin, also ich, sich fachlich äußert. Dann wird die männliche Zicke abfällig, guckt der Kundin lieber in den Ausschnitt als in die Augen und zwinkert anzüglich beim auf der Treppe aneinander Vorbeigehen. Die Kundin ist verblüfft und tut so, als sehe sie nichts. Der Elektroniker sieht alles und amüsiert sich.
Seine Hände fliegen über die Tastatur meines Laptops, dass es eine Freude ist. Das Internet funktioniert wieder, er hat ihm eine Adresse gegeben, eine IP-Adresse, die aus einer langen Zahlenreihe besteht. Woher nimmt er die? Keine Ahnung. Für den Fall, dass ich die Adresse wieder deaktivieren möchte, schreibt er mir eine Anleitung auf.
Er schreibe gerne, sagt er, aber er könne sich nie kurz fassen.
In der Tat hat er in Nullkommanichts eine ganze Seite vollgeschrieben. Mit kleiner Nerd-Druckschrift. Ich packe die Anleitung höflich weg, danke, ich will nichts deaktivieren, alles gut.
Der Monteur kommt zurück. Jetzt steige Luft in den Heizkörper, die müsse ich nachher aber wieder ablassen, auf beiden Seiten!
Auf beiden Seiten?, staune ich. Hat der Heizkörper denn zwei Ventile?
Na also, freundlich lächelt er mich an. Geht doch, denke ich, dabei weiß ich genau, dass er mich nur wegen meiner Unwissenheit ab sofort ein bisschen lieber mag. Die Klugscheißerin gibt auf. Mann muss nur lange genug warten. Er schließt seine Werkzeugtasche und geht, diesmal endgültig.
Der Elektroniker studiert an der Fern-Uni Hagen Literaturwissenschaft. Er will nach China auswandern. Er hat schon eine Wohnung dort. Eine chinesische Ehefrau hat er auch. Die Chinesen seien ganz anders, als man es sich bei uns erzähle. Er hält mir einen kleinen Vortrag über deutsche Kolonien im chinesischen Reich, den ich mir entspannt anhöre. Die Rechnung ist schon ausgestellt. Der Tee sei sehr gut, sagt er, aber erst nach der zweiten Tasse.

Schenken und Geschenke

Samstag Morgen. Die Adventsketten für T. und L. gestern Abend mit leichter Verspätung abgeschickt, bzw. zum Abholen bereit gestellt. Obwohl schon ziemlich erwachsen, freuen sie sich immer noch darüber. Der richtige Zeitpunkt, damit aufzuhören, ist ohnehin verpasst, mittlerweile ist mehr ein Gag daraus geworden: Was, immer noch … und mir macht es Spaß, ab Herbst die 2 mal 24 Sachen zu besorgen und zu verpacken, bei einem Polizeiruf oder Tatort und einer Kanne Ingwertee oder Kakao oder einem gut eingeschenkten Limoncello.
Schenken ist an jemanden denken.
Weihnachten eben!

Das Essen sollte noch mit W. abgesprochen werden. Da er immer noch oder wieder gegen mein einfaches, westfälisches Heilig-Abend-Menu ist – Suppe, Kartoffelsalat, Würstchen, Lachs, Beerengrütze, Eis -, wird er den Hauptgang wohl wieder übernehmen müssen.

Ist doch eine verdammt schöne Zeit jedes Jahr wieder. Gleich kommt PM, der gestern Abend noch einen „ordentlichen Befund“ operieren musste und danach lieber ins Bett als auf die Autobahn wollte. T. kommt auch und Steve evtl. mit neuer Freundin, ich bin neugierig und fange dann jetzt mal an, für den Brunch zu decken (was ein Kofferwort oder auch Kunstwort ist, d.h. aus mindestens zwei „morphologisch überlappenden Wörtern“ entstanden und zu einem inhaltlich neuen Begriff verschmolzen) – mit allem, was ich gestern im Marktladen so eingekauft habe…

Meine Freundin

Freitag. Meine Freundin Thea bringt feine Sachen vom Griechen mit, ich habe den Champus. Wir haben jede ein paar private Highlights zu feiern.

Meine Freundin Thea, die ich seit vielen Jahren kenne, ist plötzlich meine Nachbarin.

Meine Freundin Thea ist der emotional und intellektuell eigenständigste Mensch, den ich kenne.

Meine Freundin Thea hat den Klinikchef, der vom musiktherapeutischen Ansatz bisher nichts gehalten hat, dermaßen überzeugt, dass es plötzlich eine volle Stelle gibt. Für meine Freundin Thea natürlich.

Meine Freundin Thea hält viel von sich. Das finde ich bemerkenswert.

Islamist observiert Verfassungsschutz

Lustig: Der Verfassungsschutz ist unterwandert worden. Von einem (?) Islamisten, der den IS bei der Planung eines Sprengstoffanschlags auf das BfV-Hauptgebäude in Köln Chorweiler unterstützen wollte. Dies sei sicher im Sinne Allahs, verkündet der Hero im Facebook-Chat auf der Suche nach Gleichgesinnten.
2014 sei er, so liest man es, per Telefon zum Islam konvertiert, was immer das bedeutet. Eigentlich sei er Bankangestellter und erst 2016 als Quereinsteiger zum Verfassungsschutz gekommen, um die islamistische Szene auszuspionieren. Jetzt ist er selber ausspioniert worden. Zufällig, von einem anderen Verfassungsschützer, der, auch auf Facebook unterwegs, den Aktivitäten des abtrünnigen Kollegen auf die Schliche gekommen ist.
Im Bewerbungsverfahren, während der gesamten Ausbildungszeit und in seinem Einsatzbereich habe er sich doch immer unauffällig verhalten, wundern sich die Vorgesetzten.
 Und die steuerzahlenden Bürger*innen fragen sich einmal mehr, wozu es das BfV überhaupt noch gibt. Nicht zum ersten Mal drängt sich der Eindruck auf, das heere Amt produziere die verfassungsfeindlichen Szenen erst, anstatt sie zu bekämpfen. Wie doch offensichtlich beim NSU in Thüringen …

An Büchern leiden?

Donnerstag. Irgendwie mag ich Bücher, die ich nicht so ganz verstehe. Wie Jonathan Franzens Korrekturen. Hemmungslos seitenfüllend wird da Expertenwissen ausgewalzt, Historien- oder Wirtschaftswissenschafts- oder Chemie-Lastiges zum Beispiel über die Entwicklung eines Medikaments, das für den Plot zwar von Bedeutung, aber in dieser abnormen Breite doch irgendwann eher eitel als unterstützend wirkt. Sehr seltsam. Das Buch, so scheint mir, will etwas von mir, es fordert mich zum Duell – und schlägt mich gelegentlich. Das erste Mal ging mir das vor vielen Jahren so mit Irmtraud Morgners Trobadora Beatriz. Vor der Uni-Frauengruppe hielt ich ein flammendes Plädoyer für den Roman, nicht ohne zu erwähnen, dass man die Geschichte vielleicht nicht ganz checke, was aber nichts ausmache, im Gegenteil. Leider fand sich keine Mitstreiterin zum gemeinsamen Studium, dafür misstrauisches Gelächter. Vielleicht ist mir auch nur eine  ausgeprägte Leidensbereitschaft zu eigen …

Marokkanisches Fernsehen

Dienstag. Im marokkanischen TV gibt es Schminktipps für geschlagene Frauen. Also wie frau sich ihr blaues Auge weg-make-uppen kann. Gewalt gegen Frauen scheint in Marokko so alltäglich, dass Polizei und Justiz kaum gegen die Täter vorgehen, sondern den Missbrauch dulden (spiegel-online). Also echt pragmatisch, dieses marokkanische Fernsehen.

Privileg

Sonntag. Interview in Mainz. Ich empfinde es durchaus als Privileg und genieße es, durch diese Arbeit so viele wunderbare, spannende, schöpferisch tätige Menschen kennen zu lernen. Querverbindungen herzustellen, ein Netz zu weben.

Ich habe dann das Gefühl, es geht weiter.

Gesprächsbasis: Wenn einer stirbt, geh ich nach Paris und Mein Vater, sein Vater und ich

Der erste Film geht unter die Haut bis an die Grenzen des Verstehbaren, der zweite ist poetische Auseinandersetzung mit Männlichkeitsidealen. Der Regisseur ein eigenwilliger Typ mit einer sehr genauen Vorstellung davon, was für Filme er machen will, und genau die Filme macht er dann. Nicht so fixiert auf kommerziellen Erwägungen, Einschränkungen. Unabhängig.

Filme, die wir brauchen …

Beiß!

Samstag. Dr. K., den ich manchmal Frau Tietze nenne und der mir in einer begrenzten, höchst prekären Situation das Leben gerettet hat, faltet mich mal wieder nach allen Regeln seiner Kunst zusammen. (Er weiß, dass ich mich später wieder ent-falte). Ich bin deprimiert wegen der Sache mit meiner Zahnbehandlung, einer never ending story, und er fängt an: Sie trauen Ihrer Bisskraft nicht, Sie haben Angst zu beißen, Sie opfern lieber Ihre Zähne anstatt zu beißen und so weiter und so fort, das geht ziemlich lange, das setzt mir zu, das macht mich regelrecht sauer: Krankheit als Schuldzuweisung?

Das Denken fängt dann von selber an (meine ungezählten Zahnträume?), und ich, um das jetzt mal zu verkürzen, fange an, ohne Schere im Kopf, ohne verkomplizierende Abwägungen, die Dinge einfach zu tun, die situationsbedingt auf der Hand liegen, die ich aber am liebsten bleiben lassen würde (und gerne auch bleiben lasse), weil zu befürchten steht, dass ich mich angreifbar mache, dass jemand Vermutungen über mich anstellt, dass jemand mich nicht mehr lieben könnte and so on, diese Gedankenspirale eben, die nichts Gutes bewirkt, außer dass du deine Deckung nicht verlassen musst – à la „Die Geschichte mit dem Hammer“ von Watzlawick.

Ich bin entsetzt, wie oft am Tag der vergleichbare Fall eintritt (wie oft am Tag ich mir den Zahn ziehe).

Harmlose Geschichte: Ein Typ sitzt mir im Zug gegenüber, nervt mich ohne Ende durch hysterisches Rotzhochziehen, der Platz nebenan wird frei, ich könnte mich umsetzen, aber was denkt der dann, der weiß ja dann, … na und? Ich pack meine Tasche und stehe auf und atme langsamer als sonst und mache den entscheidenden Schritt auf die andere Seite, ja, da guckst du!, und lebe noch und lebe sogar ein klitzekleines Fünkchen besser als davor.

Für andere vielleicht kein Ding, für mich ein Lernprozess. Beißen statt vermeiden. Streiten mit der Kollegin – und sich hinterher großartig fühlen! Weil richtiges Streiten etwas verändert. Das erlebe ich jetzt. Das sind die Hausaufgaben eines repressiv erzogenen, verschüchterten Mädchens, das mit zwei Jahren fast verhungert wäre und mit zwölf den definitiv letzten Knicks gemacht hat und das schon für eine Revolte hielt und das immer noch so verdammt viel lernen muss.

Diagnose chronische Wurzelentzündung? Die Kontrolle über sich selbst zu gewinnen, ist die Freiheit, die ich meine … Sie fängt gerade an.