Donnerstag. Meine Freundin S. hängt ihren Job an den Nagel. Aufhebung des Arbeitsvertrags; die vorgeschriebene Kündigungszeit kann sie nicht mehr einhalten. Innere Widerstände, zu einem unüberwindbaren Berg angehäuft, machen ihr einen Strich durch die Lebensplanung. Sie hat eine Alternative gefunden, da sind ihre Talente gefragt und sie kann sie frei entfalten. Dabei hat sie ihre Arbeit immer geliebt. Doch was sich in concreto im “Amt” und grosso modo im Bildungssystem tut, ist eine Entwicklung zum Negativen, ohne dass sich eine Kehrtwendung abzeichnen würde.
Die Corona-Krise befördert seit nunmehr zwei Jahren die schon vorhandenen Defizite noch klarer zu Tage: Pädagogische Erwägungen treten absolut in den Hintergrund, den Takt geben bürokratische Vorgaben an. Das, weshalb die meisten Pädagog*innen sich für diesen Beruf entschieden haben, ist in der “Amts”Realität schlichtweg unwichtig geworden. Der mitdenkende, mit einer Portion Kreativität ausgestattete Lehrende ist furcht-bar unerwünscht, ein Störfaktor. Es geht um das Abhaken von Vorschriften (und nicht etwa um Einhaltung derselben). Dafür gehen unvorstellbar viel Zeit und Energie drauf. Zeit und Energie, die S. und ich und viele andere lieber in guten Unterricht investieren würden – anstatt wie z.B. aktuell in VERA 8-Leistungsüberprüfungen und deren immens aufwändige Auswertung und anschließende Dokumentation, wovon niemand was hat, außer, dass abgehakt ist.
An der Bürokratie verzweifelt nicht nur S. Es ist diese Resignation angesichts von Reformen um der Reformen Willen, Vorschriften um der Vorschriften Willen, die auf dem Hintergrund des Pandemie-Regel-Wirrwarrs mehr als nur den Unterton verstimmt. Die miesen Vibrations sind überall greifbar. Jeder Widerstand, aber auch jeder Alternativvorschlag wird sofort im Keim erstickt. Fern der Basis / der Praxis steuert die Kultusbehörde einen Apparat, dem es nur um eins zu gehen scheint: Die Unflexibilität eines erstarrten Paragraphenwerkes zum Programm zu erheben, um redundant immer auf dasselbe zu verweisen: Abnicken, abhaken, abtreten!
Es macht keinen Spaß mehr. Dass Motivation ohne Autonomie nicht funktioniert, hat Daniel H. Pink schon vor über 10 Jahren in Drive ausgeführt. Auch für das pädagogische Geschehen ist Autonomie lebensnotwendig, doch in der Praxis ist sie auf ein Minimum zusammengeschnurrt. Vorschrift statt Freiheit, wer so gestrickt ist, der kommt wunderbar durch. S. gehört nicht dazu. Ich auch nicht. Und wer sich mal im Netz durch die Stellenausschreibungen scrollt, wird verblüfft sein über den Wahnsinnsbedarf an “Amts”leitungen. Offensichtlich haben auch die Chef*innen keinen Bock mehr, und wer doch, muss keine Konkurrenz befürchten. Es hat sich herumgesprochen: Handlanger der Behörden – in Pandemiezeiten mehr denn je – ist ein undankbarer Job.
Wo Bürokratie so toxisch ist, dass sie alle Motivation und Geisteskraft auflöst, dass sie dir die Luft zum Atmen nimmt, das Herz zusammenschnürt und den Magen auf links dreht, da ist der Schritt, den S. unternommen hat, mehr als nachvollziehbar.
Gestern haben wir uns auf eine Flasche Wein getroffen, in Präsenz, analog, face to face, das haben wir genos begossen.