Werkbericht – kluge Frau Oberbürgermeisterin

Donnerstag, Eisenach. Ein kluges Interview, das mich von der ersten bis zur letzten Minute begeistert hat: Mit der Eisenacher Oberbürgermeisterin Katja Wolf.
In ihrem wunderschönen Rathaus-Saal mit der schwarzen Luther-Büste unmittelbar am Erkerfenster mit Blick auf den Marktplatz warte ich auf sie. Baue schon mal meine Technik auf dem runden Konferenztisch auf, stelle mein Geschenk an ihren Platz. Und dann kommt sie rein, fröhlich, dynamisch, präsent, direkt von einem Gerichtstermin gegen irgendwelche Rechtsradikale, die in dieser Stadt ein bundesweit bekanntes Problem darstellen.
Sie nimmt sich Zeit zum Antworten, sagt nie Banales, Erwartbares, sondern ihr Ureigenstes. Am Schluss bedankt sie sich für das gute Gespräch. Ganz meinerseits. Und danke für das Kompliment.

Einig

Montag, Eisenach. A. aus Tübingen ist für zwei Tage in Eisenach. Wir quatschen und essen gut, die Kneipen haben bis Mitternacht geöffnet, das sind wir von Tübingen nicht gewöhnt. Bis wir alles aufgearbeitet haben, was uns in unserer Vergangenheit umgetrieben hat: viele Berührungspunkte, ihre Vorgesetzten waren z.T. auch meine Vorgesetzten und besonders die Vorgesetzten aus den Behörden, da sind wir uns einig, haben wir nie als ernstzunehmende Menschen auf Augenhöhe wahrgenommen. Sondern als diejenigen, die an der Basis gescheitert sind und nach oben abgeschoben wurden, wo sie ihre Ticks ausleben konnten (Knoten in die Krawatte, um sich zu erinnern, Oberkirchenrat B.), wo sie andere unbemerkt schikanierten, um sich “Größe” anzueignen (Oberkirchenrat B., Dekan K.), wo sie uns mit dem Standing von Gartenzwergen und Gartenzwerginnen konfrontierten (alle vorherigen und Dekanin K…).
Wir hätten sie gerne geachtet, aber es ging nicht. Wo sind sie heute? Erstaunlicherweise mehrere von ihnen in der Psychiatrie, na gut, da haben wir ein bisschen Mitleid, aber irgendwie auch nicht. In Altersdemenz und der Familie ausgeliefert, da leidet A. mit, weil sie … ach, Schneevongestern. Wir haben viel erlebt, und wir stehen gut da. Wir sind bei uns geblieben. Wir haben Pläne und die Power sie umzusetzen.

Nick nick

Sonntag, Eisenach. Der Spiegel bringt es mit seinem Artikel über genmanipulierte Lebensmittel mal wieder auf den Punkt: Wie schon der Titel Spiel mit der Angst vor Gentechnik, Heft 26/2023, den Tenor unzweideutig eindeutig vorgibt, geht es um manipulative Meinungsmache statt um Information.
Dass die Leute es fressen, ohne aufzumucken, ist dem spätestens seit der Pandemie in voller Blüte stehenden  gesellschaftlichen Konformismus zu verdanken. Bei mir führt medialer Konsum statt zum Genuss ungesund oft zum Brechreiz. Aber was ist von einem Blatt wie dem Spiegel, das sich seine Redaktionsarbeit von der Melinda & Bill Gates Stiftung finanzieren lässt, anderes zu erwarten? Gekaufte Berichterstattung im einstigen – und damals einzigartigen – Investigativ-Format, das ist wirklich, wirklich traurig.
Passt dazu: Alte Sendungen mit Harald Schmidt und Otto (!) werden auf WDR neuerdings mit Warnhinweis ausgestrahlt; der Sender möchte sich, wenn nicht distanzieren, so doch absichern: Schmidts Satire und Ottos Witzchen seien politisch unkorrekt – ja, ähm, was denn sonst?
„Weltklasse! Ein echter Schmidteinander-Gag“, kommentiert Harald Schmidt denn auch die Maßnahme des WDR in der Bild-Zeitung. „Nur schade, dass der selige Feuerstein das nicht mehr erlebt hat.“
Nick, nick. Ja, so ist das wohl.

Alles neu

Mittwoch, Eisenach. Neue Arbeitsstelle, neues “Amt” – alles sehr anders, manches schräg. Zum Beispiel, wie hier aktiv der Religionsunterricht verhindert wird. Hab mich schon entsprechend angelegt, aber bloß nicht zu sehr …
Ab nächste Woche ist regulär Unterricht, jetzt nur eine sog. Vorbereitungswoche. Heißt: Konferenzen und Fortbildungen, nun ja … Die Kolleg*innen hier haben Sitzfleisch. Drei oder auch mal sechs Stunden mit nur einer Pause macht ihnen nichts aus. Als ich einmal zu meiner Nachbarin sage, ich kann gar nicht mehr stillsitzen, guckt sie mich irritiert an und fragt: Wieso?
Zu Fuß den ganzen Weg vom Veranstaltungsort nach Hause zurückgelaufen, das hat gutgetan.
PM macht viel Gartenarbeit, die ja in unserem neuen Zuhause eher Waldarbeit ist. Ein Ende nicht absehbar, das Grundstück ist irre groß. Zum Glück haben wir freundliche und kompetente Helfer.  PM fährt weiterhin hin und her, arbeitet in seiner Klinik in Bad Neuenahr an drei Tagen die Woche.
Eingewöhnung? Ich lasse es mir offen. Dafür arbeite ich so viel. Dass ich mir zwei Wohnorte leisten kann.
Die Lösung für eine funktionierende Beziehung, jedenfalls für Leute wie mich, die 24/7 auf einer Nebenspur mit ihrer kreativen Arbeit unterwegs sind: getrennte Wohnungen. Jetzt leben wir plötzlich zusammen und niemand weiß, ob wir dafür geeignet sind. Die Zeit wird es zeigen, ich lasse mich nicht unter Druck setzen.
Nach dem Montagsbier bei Stefan gegen Mitternacht noch zu M. und S. mit nach Hause gegangen. M. beherbergt über 500 LPs und doppelt so viele Bücher in den hohen Räumen ihrer schönen Altbauwohnung. Ist einfacher Bühnenarbeiter beim Stadttheater, aber belesen wie ein Professor. Ich glaube, solche Biografien gibt es nur im Osten.
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Neues Interview

… mit dem Filmemacher / Regisseur Andreas Dresen im Konferenzsaal des Hotels Domizil, den dieses uns freundlicherweise kostenlos zur Verfügung stellt.

Sehr intensives Gespräch, bin ein großer Fan und froh, dass ich mich auf diesen Termin so umfassend vorbereitet habe, nämlich alle Filme, auch die Kurzfilme, samt Kommentaren des Regisseurs noch einmal angesehen. Lohnt sich!

Blumen und Geschenke

Mittwoch, Tübingen. Turbulente Tage liegen hinter mir. Meine Verabschiedung vor genau einer Woche vom “Amt”: bewegend, schön, irgendwie auch erleichternd. Kurzer Anflug von Melancholie. Standing Ovations für meine Rede (trotz der einen oder anderen Klarstellung).
Abschied auch von meiner Klasse, Blumen, Geschenke und ein paar tolle Elternbriefe über meine Arbeit in den letzten drei Jahren mit ihren Kindern.
Am Morgen bin ich mit Rollköfferchen im “Amt” eingelaufen, um direkt nach den Feierlichkeiten nach Berlin abzuzwitschern (die immerwährende Angst stehen zu bleiben). Auf der Fahrt Bagdad, Erinnerungen an eine Weltstadt von Najem Wali zuende gelesen und den Fragenkatalog für das Interview am Freitag ergänzt.
Irgendwie krasser Weltenwechsel. Karin und ihr Sohn holen mich am Hauptbahnhof ab, und weil ich solchen Hunger habe, fahren wir erstmal zum Kudamm und essen bei so einer Luxusbude, die bis morgens um fünf geöffnet hat, Currywurst und Pommes.
Die drei Tage übernachte ich diesmal im Hotel Lindenufer in Spandau. Keine privaten Übernachtungen mehr!, die richtige Entscheidung auch deshalb, weil ich mich im Hotel besser auf die Interviews vorbereiten kann. (Außerdem liebe ich Hotels und Frühstücksräume und besonders diesen mit seiner hohen Flügeltür und knarzendem Parkettboden und einem wunderbaren Buffet.)
Arbeitspensum: Grit Seymour am Donnerstag, Najem Wali am Freitag.
Kontrastprogramm in jeder Hinsicht. Hier die weltgewandte Designerin, die bei vielen namhaften Brands ihre Spuren hinterlassen hat und jetzt eine Professur an der HTW Berlin innehat, dort der irakische Schriftsteller mit mehreren (Sprach-)heimaten und vielfältigen Aktivitäten, seit neuestem Beauftragter des Programms Writers in Prison – Writers at Risc und Vizepräsident des PEN-Zentrums Berlin.
Luxusappartement am Prenzlauer Berg versus Arbeitsküche in Kreuzberg. Ich liebe beides sofort.
Samstagmorgen, bevor es wieder auf den Zug geht, gemeinsames Frühstück im Hotel mit meinen beiden Spandauer Freundinnen Karin und Dorle. Wie wir unsere Spuren verfolgen, uns verändern und doch im Kern bei uns selbst bleiben … Wiedersehen demnächst in Eisenach?

Ungehört

Montag, Tübingen. Der Regisseur James Cameron über die Gefahren der Künstlichen Intelligenz: “Ich habe euch 1984 gewarnt” (Terminator):

https://www.gmx.net/magazine/unterhaltung/filme-serien-kino/james-cameron-gefahren-kuenstlichen-intelligenz-1984-gewarnt-38450204?fbclid=IwAR1w9yXEpYotIV_yL603Pr3M1QGvaojQAnDFdAZMc9nX50SwM4ucz_9qzDw

Heute vor …

Freitag, Tübingen “ … heute vor 2 Jahren war die Flut, die so viel verändert und so viel zerstört hat. Und so viele Narben sind geblieben. Das ist immer noch bedrückend. Jetzt warte ich auf den Gartenmann …”

schreibt PM bedrückt in seiner GuteMorgenSMS aus Eisenach.

Gestern war meine letzte Zeugniskonferenz hier in Tübingen. Derweil gestaltet sich die Vertragsunterzeichnung mit der neuen Schule in Eisenach etwas kompliziert, jedoch überschaubar. Dokumente ohne Ende sollen geliefert werden, grauslich … Neugier auf alles Neue, noch nicht Abgegriffene, Inspirierende wechselt mit Verzagtheit und Zweifeln. Die richtige Entscheidung? Wann kann ich sicher sein? In meinem Kopf ein anhaltender Sturm konträrer Visionen, Einschätzungen.

Im Sommer warten drei Interviews auf mich, Grit Seymour, Najem Wali und Andreas Dresen. Große Namen, viel Respekt und Freude auf die Gespräche.

Weg in den Wahnsinn

Sonntag, Tübingen. Hab keine Lust mehr. Weiß nichts zu schreiben, habe nichts zu berichten. Wenn deutsche Politiker*innen jetzt indirekt dazu aufgefordert werden, die Lieferung von Streubomben an die Ukraine abzunicken, weil man den “USA nicht in den Arm fallen” dürfe (Steinmeier), dann fehlen mir die Worte. Dann ist jede Argumentation obsolet. Dann sind wir am Ende der Aggressionsspirale angekommen.
Verteilt Atomwaffen, liebe Amerikaner, dann haben wir es schneller hinter uns. Yes, ich bin für Atomwaffen, wie geil geil geil ist das denn …